Interview: Oft steigern Details die Akzeptanz entscheidend
Gibt es bestimmte Methoden, mit denen man die Nutzerbedürfnisse analysieren kann?
Ja, wir arbeiten gerne mit der sogenannten Persona-Methode. Hier versuchen wir, die heterogene Benutzergruppe in sinnvolle Kategorien zu unterteilen. So können wir besser nachvollziehen, welche Anwendergruppen welche Eigenschaften haben. Es gibt zum Beispiel Benutzerinnen und Benutzer mit mehr oder weniger technischer Kompetenz, oder solche, die die Software zu unterschiedlichen Zwecken nutzen. Das hilft, die verschiedenen Anforderungen besser zu verstehen und die Software darauf abzustimmen.
Das klingt nach einem sehr umfangreichen Prozess. Ist es also so, dass man am Anfang besonders viel Zeit in die Entwicklung der Personas investieren sollte, um dann eine passgenaue Software zu entwickeln?
Ja, ganz genau. Je besser wir am Anfang die Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer verstehen, desto effizienter und zielgerichteter kann der technische Entwicklungsprozess ablaufen.
Viele Ärztinnen und Ärzte haben schlechte Erfahrungen mit der Digitalisierung gemacht, was zu Skepsis führt. Wie kann man damit umgehen?
Skepsis gegenüber neuen digitalen Lösungen resultiert oft aus negativen Erfahrungen, und diese muss man ernst nehmen. Es geht darum, die sogenannten Pain Points zu identifizieren und zu optimieren. Gleichzeitig darf man nicht vergessen, die Vorteile der Digitalisierung aufzuzeigen. Wenn die Nutzerinnen und Nutzer nicht sehen, dass sie durch die digitale Lösung einen echten Mehrwert haben, warum sollten sie dann wechseln? Der Fokus sollte also nicht nur auf der Lösung von Problemen liegen, sondern auch darauf, neue Möglichkeiten zu schaffen, die vorher nicht gegeben waren.
Also kann schon eine vermeintlich kleine Funktion einen großen Unterschied machen?
Genau! Es muss nicht immer das „große neue Feature“ sein. Oft sind es kleine Funktionen, die den Alltag erheblich erleichtern und die Akzeptanz steigern.
Welchen Einfluss hat Ästhetik auf die Nutzung von Software?
Ästhetik spielt eine große Rolle, auch wenn viele Nutzerinnen und Nutzer das nicht sofort zugeben würden. Eine Software, die altbacken aussieht, erweckt oft den Eindruck, dass sie auch technisch nicht auf dem neuesten Stand ist. Wir leben heute in einer Welt, in der Technologie unseren Alltag durchdringt – von Smartwatches bis hin zu Smartphones. Diese Geräte sind nicht nur funktional, sondern auch ästhetisch ansprechend. Das setzt eine gewisse Erwartungshaltung bei der Nutzung, auch im beruflichen Umfeld, wie bei Ärztinnen und Ärzten. Es ist wichtig, dass die Software nicht nur gut funktioniert, sondern auch ansprechend gestaltet ist.
Gibt es kommende Themen in Bezug auf die Usability, mit denen wir uns beschäftigen müssen?
Der ganze Bereich der KI ist ein großes Thema. Wir müssen uns mit der Aufgabenverteilung zwischen Mensch und Computer auseinandersetzen. Was macht der Mensch, was übernimmt die KI? Vertrauen und Ästhetik spielen dabei eine enorme Rolle. Wir erleben einen Umbruch, da Software durch KI und Machine Learning aktiver wird.
Und das gehört auch zur Benutzerfreundlichkeit?
Richtig. Die Software sollte so gestaltet sein, dass sie nicht als Bedrohung wahrgenommen wird. Viele Menschen haben Angst vor KI, und das hat psychologische Aspekte. Es ist wichtig, wie die User die Technologie wahrnehmen.
Was ist der Grund dafür?
Da spielen gesellschaftspolitische Fragen eine Rolle, etwa in Bezug auf Automatisierung und Entscheidungsprozesse. Es gibt viele Fragen, wie viel Entscheidungsfreiheit der Mensch im Vergleich zur Automatisierung haben sollte. Das subjektive Empfinden der Menschen ist dabei entscheidend.
Gibt es Studien, die sich damit beschäftigen, wie KI gestaltet sein muss?
Definitiv. Studien zeigen zum Beispiel, dass die Geduld der Menschen von der Gestaltung der Interaktion abhängt. Wenn ein Sprachsystem bei einem Missverständnis freundlich reagiert, empfinden die Nutzerinnen und Nutzer das als weniger frustrierend. Und bei der Interaktion mit KI ist die subjektive Wahrnehmung besonders wichtig.
Wie können Unternehmen darauf reagieren?
Unternehmen müssen die Nutzererfahrung ernst nehmen. Es reicht nicht aus, nur Produkte anzubieten; sie müssen sicherstellen, dass Kundinnen und Kunden langfristig bleiben. Das bedeutet, alle Berührungspunkte in der Nutzerreise zu betrachten: vom ersten Kontakt bis zur Nutzung des Produkts.
Nachhaltigkeit spielt dabei auch eine Rolle?
Ja, Hersteller müssen sich mit allen Berührungspunkten und dem Thema Nachhaltigkeit auseinandersetzen. Junge Menschen sind zunehmend umweltbewusst, und das sollte nicht ignoriert werden.
PROF. DR. TOM GROSS ist Inhaber des Lehrstuhls Mensch-Computer-Interaktion an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg.