Kompakt-Interview: Mühsamer Weg Richtung Pflegeökosystem

Helfen digitale Pflegeplattformen gegen Pflegenotstand im demografischen Wandel? Markus C. Müller über einen Sektor, der (langsam) Fahrt aufnimmt.

Warum konzentrieren Sie sich auf pflegende Angehörige?
Aktuell werden 84 Prozent der Pflegebedürftigen zu Hause gepflegt, gleichzeitig gehen zwei Drittel der Pflegebudgets in die stationäre Pflege. Viele Angehörige wissen gar nicht, welche Unterstützung ihnen zusteht. Wenn wir Angehörige stärken, dann verbessern wir die Pflege zu Hause und machen sie umsetzbarer. Wenn Angehörige die Grätsche machen, bleibt im Zweifel nur noch das Pflegeheim. Das wollen wir verhindern.
 

Was sind die Erfolgsfaktoren und Killer-Anwendungen?
Es gibt nicht das eine Top-Feature, es ist eher die Kombination und das Zugänglich machen unterschiedlicher Angebote. Wir haben aktuell 13 Features plus einen Chatbot, der die Nutzerinnen und Nutzer zu den passenden Lösungen lotst. Diese beinhalten Informationen über das ganze Antragswesen bis hin zur Möglichkeit, sich mit anderen auszutauschen. Generative KI ist hier unheimlich nützlich, die Nutzerinnen und Nutzer werden wie von guten Pflegeberaterinnen und -beratern entsprechend ihrer persönlichen Anliegen geleitet. Oft genutzt werden Informationsangebote für spezifische Pflegesituationen und Tools, die die Unterstützungsangebote der Krankenkassen navigieren helfen.

Nach anderthalb Jahren gibt es noch keine zugelassene DiPA.

Markus C. Müller

Sie haben aktuell einen neuen Selektivvertrag mit der DAK abgeschlossen. Warum ist die Anwendung keine digitale Pflegeanwendung (DiPA)?
Wir wollten das ursprünglich werden, aber der regulatorische Rahmen kommt für uns nicht infrage. Das ganze Beratungsthema ist komplett ausgeschlossen, obwohl das für uns der wichtigste Punkt ist. Wir sind seitens des Spitzenverbands derzeit in Gesprächen mit der Politik mit dem Ziel, die DiPA noch mal zu überarbeiten. Es ist ja kein Zufall, dass es nach anderthalb Jahren noch keine zugelassene DiPA gibt und auch kaum Anträge beim BfArM. Es braucht andere Möglichkeiten für einen Nachweis des pflegerischen Nutzens. Auch ein Erprobungsjahr wäre hilfreich, gegebenenfalls nach einer Erstbeurteilung durch ein pflegerisches Expertengremium.
 

Könnten DiPA oder auch hausärztliche Videosprechstunden über Ihre Plattform zugänglich gemacht werden?
Vorstellen können wir uns so etwas definitiv. Die Vision – nicht nur von uns – ist ein digitales Pflegeökosystem, und pflegende Angehörige haben da eine Schlüsselrolle. Allerdings können wir keine DiPA einbinden, solange es keine gibt. Und für die Anbindung weiterer Versorgungsebenen sind Standards und Schnittstellen nötig, die erst einmal definiert und von der gematik dann spezifiziert werden müssten. Das erfordert den Willen aller Beteiligten, daran mitzuarbeiten.

» MARKUS C. MÜLLER ist CEO von Nui Care und Mitglied im Vorstand des Spitzenverbands Digitale Gesundheitsversorgung (SVDGV).