Usability ist Trumpf
von Miriam Mirza
Die digitale Transformation hat längst Einzug in Arztpraxen gehalten und Praxissoftware spielt eine zentrale Rolle bei der täglichen Arbeit. Doch was bedeutet es, eine Software wirklich benutzerfreundlich zu gestalten, insbesondere im hochspezialisierten medizinischen Bereich? Benutzerfreundlichkeit, häufig auch als Usability oder User Experience (UX) bezeichnet, geht weit über die optische Gestaltung hinaus. Es geht darum, Software so zu entwickeln, dass Anwenderinnen und Anwender effizient und ohne unnötige Hindernisse ihre Ziele erreichen können. Im medizinischen Umfeld sind diese Anforderungen besonders spezifisch und komplex.
Benutzerfreundlichkeit beschreibt im Kern, wie gut eine Software auf die Bedürfnisse ihrer Nutzerinnen und Nutzer abgestimmt ist. Diese sollen in ihrer Arbeitsumgebung unterstützt werden, sodass sie ihre Aufgaben effizient bewältigen können, ohne sich mit komplizierten Bedienprozessen herumzuschlagen. Philipp Merkel, Experte für UX/UI bei medatixx, erklärt es so: „Es geht nicht nur darum, etwas schön zu gestalten, sondern den Nutzer bei der Erfüllung seiner spezifischen Aufgaben zu unterstützen. Die Software muss im jeweiligen Kontext möglichst gut und ohne Schwierigkeiten eingesetzt werden können.“
Gerade in Arztpraxen kann der Kontext unterschiedlich sein: Eine Medizinische Fachangestellte an der Anmeldung hat andere Anforderungen an die Software als etwa ein Arzt im Behandlungszimmer. Auch für Patientinnen und Patienten, die zunehmend in digitale Prozesse einbezogen werden, muss Software unterschiedlich gestaltet werden. Diese Diversität erfordert eine flexible und anpassungsfähige Lösung, die sowohl erfahrenen Usern als auch Neueinsteigern gerecht wird.
Vom Bedürfnis zur Lösung
Der Prozess, der zu einer benutzerfreundlichen Software führt, beginnt mit dem sogenannten Requirements Engineering. Hierbei werden die Bedürfnisse und Anforderungen der Nutzerinnen und Nutzer identifiziert, bevor eine Lösung erarbeitet wird. „Wenn neue Anforderungen an uns herangetragen werden, treten wir einen Schritt zurück und überlegen: In welchem Kontext nutzen unsere Kunden das Produkt? Wer nutzt es? Was möchte die Person damit erreichen?“, erklärt Merkel. Erst dann wird über die konkrete Umsetzung nachgedacht, damit die Software die Erwartungen und Ziele bestmöglich erfüllt.
Ein zentrales Ziel dabei ist es, den Arbeitsablauf so nahtlos wie möglich zu gestalten. Besonders im medizinischen Bereich bedeutet dies oft, dass der bestehende Workflow so wenig wie möglich verändert wird, selbst wenn neue Funktionen integriert werden. Ein gutes Beispiel dafür ist die Einführung des eRezepts. Merkel beschreibt den Ansatz, den sein Unternehmen verfolgt: „Wir haben versucht, den Arbeitsablauf für die Praxis so zu belassen, wie er bisher war. Die Ärztin drückt am Ende nicht mehr auf ‚Drucken‘, sondern auf ‚Rezept signieren‘. So bleibt die Reihenfolge im Grunde gleich, und die Umstellung fällt leichter.“
Softwarelösungen im Gesundheitswesen unterscheiden sich von denen in anderen Branchen, etwa dem Online-Banking oder der Unternehmensverwaltung. Der medizinische Bereich erfordert eine besonders hohe Benutzerfreundlichkeit, bedingt durch eine heterogene Anwendergruppe, sich ändernde gesetzliche/regulatorische Vorschriften und sensible Praxisprozesse.
Eine zentrale Herausforderung besteht darin, dass die Software sowohl für unerfahrene als auch für erfahrene Nutzerinnen und Nutzer intuitiv zu benutzen sein muss. Eine erfahrene Anwenderin möchte möglichst schnell und ohne unnötige Klicks durch den Prozess geführt werden, während ein unerfahrener Anwender möglicherweise auf mehr Unterstützung angewiesen ist. „Das ist das Spannungsfeld, in dem wir arbeiten“, fasst es Merkel zusammen. „Die Software muss selbsterklärend sein, darf aber erfahrene Nutzer nicht durch unnötige Erklärungen ausbremsen.“
„Joy of Use“ und Effizienz
Ein wichtiger Aspekt bei der Entwicklung benutzerfreundlicher Software ist der Joy of Use – das positive Erlebnis beim Gebrauch der Software. Erreicht wird dieser durch einfache Bedienbarkeit, klare Strukturen und reduzierte Komplexität. Gleichzeitig geht es um Effizienz und Schnelligkeit. Die Entwicklerinnen und Entwickler stellen sich dazu Fragen wie: Wie viele Klicks sind nötig, um eine Standardaufgabe zu erledigen? Ist die Navigation intuitiv oder brauchen User lange, um eine bestimmte Funktion zu finden?
Viele Fragen, wie etwa jene, wie viele Klicks eine Aufgabe erfordert, lassen sich oft nicht pauschal beantworten. So kann ein Klick mehr bei selten genutzten Funktionen akzeptabel sein, während er bei häufigen Aufgaben störend wirkt. Merkel weist darauf hin, dass auch die Art der Interaktion eine Rolle spielt: „Manchmal ist ein Klick besser, als wenn ich mit der Maus warten muss, bis ein Fenster erscheint.“ Die Herausforderung besteht darin, die Benutzerfreundlichkeit an die individuellen Arbeitsabläufe und den Nutzungskontext anzupassen. Besonders bei Neuem wie zum Beispiel den verpflichtenden Anwendungen aus der Telematikinfrastruktur gibt es vonseiten der gematik die Anforderung, dass bestimmte Funktionen mit maximal drei Klicks bedienbar sein müssen. „Es ist schwierig, eine generelle Regel aufzustellen“, so Merkel. „Der Kontext entscheidet, ob eine Funktion als benutzerfreundlich wahrgenommen wird.“
„Unser Ziel ist aber immer, unsere Kundinnen und Kunden dort abzuholen, wo sie sich in ihrem bestehenden Workflow befinden“, fährt er fort. „Indem wir uns an ihren Arbeitsabläufen orientieren, können wir den Einstieg in neue Softwarelösungen erleichtern.“ Es ist diese Orientierung an den realen Abläufen, die entscheidend für die Akzeptanz einer Software und für das Gefühl ist, dass die Anwendung „gut funktioniert“.
Iterative Entwicklung
Für eine Praxissoftware, die die unterschiedlichen Anforderungen aller Nutzergruppen unter einen Hut bringen muss, ist eine kontinuierliche Weiterentwicklung unvermeidlich. Entscheidend ist, dass regelmäßig Feedback eingeholt wird. „Wir sprechen mit Anwenderinnen und Anwendern, bevor wir überhaupt mit der Entwicklung beginnen“, so Merkel. „Wie haben Sie das bisher gemacht? Was sind die entscheidenden Schritte? Und wie können wir das verbessern?“
Dabei geht es nicht nur darum, die Software an die Kundenbedürfnisse anzupassen, sondern auch darum, sicherzustellen, dass Neuerungen gut aufgenommen werden. Vor der endgültigen Integration neuer Funktionen werden diese mit Kunden getestet. Deren Rückmeldungen fließen anschließend in die finale Version ein. „Man kann auch mit noch so viel Erfahrung das Feedback der Nutzerinnen und Nutzer nicht ersetzen“, betont Merkel.
Dabei reicht es nicht, nur einen oder zwei User zu befragen – idealerweise werden mehrere Stimmen aus unterschiedlichen Praxen und Fachrichtungen eingeholt, um ein umfassendes Bild der Anforderungen zu erhalten. „Unter drei Leuten wird es schwierig, da etwas Allgemeines herauszufinden. Je nach Thema muss man auch mal zehn Personen befragen, um ein gutes Meinungsbild zu bekommen“, erläutert Merkel weiter.
Interview: Oft steigern Details die Akzeptanz entscheidend
Prof. Dr. Tom Gross erklärt, wie die richtige Kombination aus Nutzerzentrierung und Ästhetik nicht nur Skepsis überwinden, sondern auch die Usability revolutionieren kann. Während digitale Innovationen das Gesundheitswesen transformieren, bleibt die Frage: Wie gestaltet man Software, die nicht nur funktioniert, sondern auch begeistert?
Rechtliche Vorgaben
Ein weiterer zentraler Punkt bei der Entwicklung benutzerfreundlicher Software ist die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben. Medizinische Software muss regelmäßig aktualisiert werden, um den neuesten gesetzlichen Anforderungen zu entsprechen. Diese Umsetzung erfordert nicht nur technisches Know-how, sondern auch Feingefühl. Softwareanbieter setzen hier in der Regel auf eine enge Zusammenarbeit mit den Praxen. „Unsere Kunden müssen sicher sein, dass sie mit unserer Software immer auf dem neuesten Stand der gesetzlichen Vorgaben sind“, betont Merkel. „Gleichzeitig arbeiten wir daran, dass diese Vorgaben so umgesetzt werden, dass sie den Alltag in der Praxis erleichtern.“
Meist werden die Anforderungen durch Institutionen wie die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) oder die gematik weitergeleitet, die aus Gesetzen konkrete Umsetzungsrichtlinien formulieren. Diese Regelungen müssen die Softwareentwickler dann in den Arbeitsablauf integrieren, ohne den Praxisalltag unnötig zu erschweren. Merkel beschreibt den Prozess als „praktischen Balanceakt“, bei dem die Theorie in die Praxis umgesetzt werden muss. „Oft sind die Vorgaben gut gemeint, aber in der Umsetzung schwierig. Wenn wir feststellen, dass eine Regelung zu einem übermäßigen Aufwand führt, versuchen wir, den Spezifikationsgeber darauf hinzuweisen, um die Umsetzung für unsere Kunden zu optimieren“, erklärt Merkel.
Der Entwicklungsprozess wird also oft durch Rückfragen an die für die Vorschriften verantwortlichen Institutionen begleitet. „Wir haben eine Art beratende Funktion“, fügt er hinzu. „Wir setzen nicht nur blind die Vorgaben um, sondern hinterfragen auch, ob diese praktikabel sind.“ Dabei ist essenziell, dass die Software, die in den Praxen täglich zum Einsatz kommt, den Arbeitsablauf unterstützt und nicht durch unnötige bürokratische Schritte ausbremst. Ein Beispiel dafür ist das eRezept, das zu Beginn von vielen Usern als komplexe Umstellung wahrgenommen wurde, nun jedoch von den meisten als eine Erleichterung gesehen wird, weil Patientinnen und Patienten die Verordnung nicht mehr persönlich abholen müssen.
Und nicht zuletzt muss neben der Funktionalität ein ansprechendes Design der Software gewährleistet sein, denn das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die User das Produkt auch gerne benutzen. „Ein schönes und modernes Design schafft Vertrauen“, erklärt Merkel. „Selbst eine gut funktionierende Software, die veraltet aussieht, kann den fälschlichen Eindruck erwecken, dass sie technisch nicht auf dem neuesten Stand ist.“ Aus diesem Grund tragen ästhetische Aspekte entscheidend zur Benutzerfreundlichkeit bei, nämlich indem sie den Nutzerinnen und Nutzern das Gefühl geben, dass die Software zuverlässig und durchdacht ist. Dabei geht es weniger darum, eine „Design-Software“ zu schaffen, sondern um ein angenehmes Nutzungserlebnis.
Produktabhängige Lösungen
Grundsätzlich gilt für die Usability: Eine Standardlösung gibt es nicht. Jedes Softwareprojekt ist einzigartig. Lösungen, die in einem Projekt erfolgreich sind, lassen sich nicht immer auf ein anderes übertragen. „Wir arbeiten produktindividuell“, betont Merkel. „Jede Anforderung hängt an einem bestimmten Arbeitsablauf und muss entsprechend umgesetzt werden.“ Gerade im medizinischen Bereich ist es wichtig, flexibel auf Veränderungen zu reagieren.
Das Fazit: Die Gewährleistung von Benutzerfreundlichkeit ist in der Entwicklung von Praxissoftware kein einfacher Prozess, sondern erfordert eine präzise Abstimmung auf die individuellen Bedürfnisse der Anwenderinnen und Anwender in Arztpraxen. Eine flexible, praxisnahe Lösung muss sowohl für erfahrene als auch unerfahrene Nutzerinnen und Nutzer intuitiv bedienbar sein, ohne unnötige Hürden zu schaffen. Die kontinuierliche Anpassung an gesetzliche Vorgaben und die Einbindung des Feedbacks aus den Praxen sind zentrale Herausforderungen.
So macht es medatixx