Interview: „Wir sind insgesamt auf einem guten Weg“

Die KVWL treibt die Digitalisierung der ambulanten Medizin mit Verve voran – und fokussiert sich dabei insbesondere auf die digitale Transformation und deren Herausforderungen im alltäglichen Praxisbetrieb.

JAKOB SCHOLZ ist stellvertretender Geschäftsbereichsleiter IT & Digital Health bei der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL).

Wie sieht sie aus, die digitalisierte Arztpraxis im Jahr 2030? 

Die digitalisierte Arztpraxis im Jahr 2030 ist Teil einer hybriden Versorgungslandschaft, in der die ambulante Versorgung physisch und auch telemedizinisch erfolgt. Die Praxen werden sich noch mehr als bisher durch digitale Tools organisatorisch unterstützen lassen, von Messenger-Kommunikation über Online-Terminbuchung bis hin zur digitalen Voranamnese. All das beobachten wir in Ansätzen heute schon. Praxen, die das bereits machen, berichten fast durchweg nur Positives: Die Praxis wird entlastet, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können selbst steuern, welche Anfragen auf welchem Weg beantwortet werden. Im Behandlungsprozess wird die digitale Dokumentation weiter Einzug halten. Die Nutzung von ePA, eRezept und Co. wird Standard und vor allem geräuschlos sein. Wir gehen auch davon aus, dass sich Praxen immer stärker hinsichtlich diagnostischer und therapeutischer Entscheidungen digital unterstützen lassen, durch wissensbasierte Systeme, vielleicht auch durch Tools, die das Arzt-Patienten-Gespräch mitschneiden und relevante Informationen herausfiltern.

Ist das so schon Mehrheitsmeinung in Praxen?

Noch nicht. Ich denke, dass das im Moment vielleicht 10 bis 20 Prozent der Praxen vollumfänglich so sehen. Die werden dieses Zielbild vielleicht auch bis 2030 erreichen.

Sie haben in Westfalen-Lippe vor rund fünf Jahren die dipraxis etabliert, eine „Arztpraxis der Zukunft“. Seit gut einem Jahr gibt es jetzt die dipraxis 2.0. Wie ist die Resonanz?

Das wird gut angenommen. Insgesamt haben wir rund 1 600 Menschen durch die dipraxis geführt, aktuell sind wir auf zwei bis drei Monate ausgebucht. Die Weiterempfehlungsquote liegt bei über 99 Prozent. Die Praxen erhalten einen Impuls, und viele fangen dann im Kleinen an und bieten zum Beispiel eine Infektionssprechstunde als Online-Termin oder ergänzen die Praxis-Website um eine Terminbuchung und andere Features.

Wie verändert ein immer stärker digitales Gesundheitswesen die Rolle der Praxissoftware?

Ich glaube, das sage ich auch den Herstellern, dass die Zukunft der Praxis-IT nicht „Dokumentation plus Kodierunterstützung“ ist, sondern dass die Zukunft in der Prozessunterstützung liegt. Praxen wollen durch Digitalisierung effizienter werden. Eine Praxissoftware, die das nicht leistet, wird es auf Dauer nicht schaffen.

Die Vision eines digitalen Ökosystems in der Arztpraxis, die Sie eingangs geschildert haben, erfordert Interoperabilität. Was wünschen Sie sich an politischen Weichenstellungen von der neuen Bundesregierung?

Einige Weichen wurden ja schon gestellt, im Digital-Gesetz, aber auch in dem Entwurf des Gesundheits-Digitalagentur-Gesetzes. Der sollte nach der Wahl wieder aufgegriffen werden. Ich glaube, dass KVen, politische Entscheider und auch Industrieverbände eigentlich eine ähnliche Auffassung davon haben, wohin sich das System entwickeln muss. Ich denke, wir sind insgesamt auf einem guten Weg.

Die digitale Arztpraxis ist auch ein Management-Thema. Sie bieten deswegen bei der KVWL die Fortbildung Digi-ManagerIn an. Sie zielt darauf ab, Digitalisierungsbeauftragte in den Arztpraxen zu etablieren. Warum braucht es die? 

Weil ein digitaler Transformationsprozess in einer Praxis viel intrinsische Eigenmotivation erfordert, und die wiederum erfordert digitale Kompetenz und Change-Management-Fähigkeiten. Wir adressieren mit diesem Programm spezifisch MFAs, weil das Thema Digitalisierung vor allem am Empfangstresen und in der administrativen Arbeit stattfindet.

Auch hier die Frage: Wie ist die Resonanz? 

Von den 100 Digi-Managern und -Managerinnen, die wir ausgebildet haben, haben 99 die Ausbildung abgeschlossen und auch das digitale Reifegradmodell für die Praxis ausgefüllt. Fast alle haben dann auch wirklich Digitalisierungsprojekte umgesetzt, von Online-Terminbuchung über eine neue Website oder der Einführung einer digitalen Voranamnese bis hin zur digitalen Patientensteuerung. Von den Praxisinhaberinnen und -inhabern bekommen wir ebenfalls sehr gutes Feedback: Sie freuen sich, dass sie jetzt in der Praxis jemanden haben, den sie zu allen TI- und IT-Themen fragen können.

Sie machen jetzt einen Relaunch des Programms. Wie geht es weiter?

Bis jetzt haben wir mit der Akademie der Ärztekammer kooperiert und ein extrem umfangreiches Programm mit um die 200 Unterrichtsstunden angeboten. In der neuen Form nehmen wir als KVWL das Programm allein in die Hand und gehen auf unter 50 Stunden über zwei bis drei Monate runter. Wir haben alle 100 bisherigen Digi-Manager und -Managerinnen befragt, welche Inhalte besonders relevant waren, und genau darauf werden wir uns jetzt konzentrieren.

Sehen Sie im Kontext der neuen ePA spezifische Aufgaben für die Digi-Managerin oder den Digi-Manager? 

Auf jeden Fall. Wir sehen in den ePA-Modellregionen, dass die allermeisten Aufgaben durch die MFAs übernommen werden. Die stecken die eGK, schauen, ob eine ePA verfügbar ist. Sie sind auch oft diejenigen, die ggf. vorhandene Dokumente in die Primärdokumentation übernehmen. Ich denke, das wird in vielen Praxen so sein: Der ePA-Prozess findet nicht ausschließlich am Arbeitsplatz des Arztes bzw. der Ärztin statt, sondern wird am Empfang zumindest gestartet. Entsprechend Koordinierungsbedarf gibt es, und dafür ist eine Digi-Managerin oder ein Digi-Manager prädestiniert.