Kolumne: Forever infantil

Was früher „Forever Young“ hieß, nennt sich heute „Longevity“ – und statt Konzerthallen füllen sich Kongresszentren. Dr. Doxx stellt sich in seiner Kolumne der Frage: Werden wir wirklich unsterblich, oder nur digital unvergesslich?

„Wer alt genug ist, um sich an die 80er-Jahre zu erinnern, der weiß, dass 1983 die „Rückkehr der Jedi-Ritter“ (west-)deutschlandweit die Kinos rockte. Ein Jahr später stürmte dann Alphaville mit „Forever Young“ die Single-Charts. Superhelden und Unsterblichkeit, das waren (neben dem NATO-Doppelbeschluss) die Themen, die damals die Kleinstädte elektrisierten.

Viel geändert hat sich daran nicht, am Kalten Krieg eh nicht, und auch nicht an den beiden anderen Themen. Stichwort Superhelden: Im April 2025 gab es einen Trend bei LinkedIn, der starke 80er-Jahre-Vibes hatte. LinkedIn, Sie wissen schon, diese blaulackierte Kleinstadt in digital. Eine Plattform, auf der beruflich ambitionierte Erwachsene große Themen der Menschheit diskutieren, anderen erzählen, wie toll sie sind, und sich gegenseitig auf die Schulter klopfen, bis der Karpaltunnel quietscht.

Im April 2025 also haben gefühlt 27000 seriöse Erwachsene – auch Ärzte – auf LinkedIn KI-generierte Bilder mit Superhelden-Sammelfiguren in durchsichtiger Blisterpackung gepostet, wobei jeweils das eigene Foto als Vorlage für den geblisterten Superhelden diente. Wir können jetzt gemeinsam überlegen, was genau es über unsere Zeit aussagt, wenn Menschen, die früher von einem Leben als Han Solo in einer Raumhafen-Spelunke geträumt hätten, sich heute als geblisterte Superhelden präsentieren. Ich fürchte, nichts Gutes.

Rein gar nichts geändert hat sich auch an der Attraktivität von „Forever Young“. Naja, abgesehen vom Namen. Heute heißt das „Science of Longevity“, und man füllt damit keine Konzerthallen mehr, sondern Kongresszentren. So geschehen ebenfalls im April bei der „Global Health Week“ in Abu Dhabi, wo sich unter dem Oberthema „Longevity“ 15 000 Menschen (und unzählige Unternehmen) austauschten über – ja, worüber eigentlich? – Telomer-Verlängerung, Antioxidation, genetische Optimierung und, Sie ahnen es, die Gesundheit ihrer Mitochondrien.

Es gibt tatsächlich Leute, die täglich Berge an Tabletten, Säften und Klistieren konsumieren, um möglichst nie oder mindestens möglichst spät zu sterben. Fragen Sie Ihre Teenager-Kinder mal nach Bryan Johnson oder Fabian Foelsch. Der Punkt ist: Diese Leute werden mit hoher Wahrscheinlichkeit steinalt. Nicht weil sie ihre Telomere und Mitochondrien pampern, sondern schlicht, weil sie sich gesund ernähren, täglich Sport machen, nicht rauchen und wenig Alkohol trinken.

Womit wir bei Ihnen wären. Denn Sie kriegen keinen Cent, wenn Sie für bessere Ernährung, mehr Bewegung und weniger Qualm werben. Wohingegen die Longevity-Industrie so viel Geld umsetzt, dass man damit locker einen 15 000-Leute-Kongress in Abu Dhabi finanzieren kann. Aber wir haben ja jetzt eine neue Regierung, und da wird sich im Gesundheitswesen einiges ändern. 

„Entwerfen Sie eine Longevity-DiGA für 300 Euro im Monat mit Gamification-Elementen.“

Dr. Doxx

Erster Schritt: zwei neue Abrechnungsziffern „Unsterblichkeitsberatung“ für EBM und GOÄ. Danach angeln Sie sich einen findigen ITler und entwerfen eine Longevity-DiGA für 300 Euro im Monat. Da können Sie zum Beispiel mit Gamification-Elementen den Menschen beim Mitochondrien-Retten unter die Arme greifen. Das Ganze eignet sich auch sehr gut für Pay-for-Performance-Modelle. Denn wenn Ihr Patient mit 95 immer noch arbeitet, als wäre er 35, dann freut das die Krankenkassen. Win-win-win, wie man auf LinkedIn sagen würde. Wo Sie für Ihre täglichen Longevity-DiGA-Superhelden-Blister-Posts dann auch safe 1,5 Millionen Likes bekommen. Imagine!
 

Herzlichst,
Ihr Dr. Doxx“

Der Artikel erschien erstmals am 26. Juni 2025 im x.press 25.3.

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