Kolumne: Im Bett. Bei Mondlicht.

„Heute wird es hier mal richtig wissenschaftlich: „By meticulously delving into intricate data, additional connections are revealed that underscore the crucial importance of our pivotal findings.“ Gut, oder? Der Satz könnte auch in einem beliebigen biomedizinischen Abstract oder der Discussion-Sektion eines Papers stehen.
Tut er auch, zumindest fast. Tatsächlich enthält der kurze Satz acht Wörter, die seit Aufkommen der großen Sprachmodelle, der LLMs, in wissenschaftlichen Abstracts, die in der Datenbank PubMed gelistet sind, dramatisch viel häufiger auftauchen als vorher. Dass bestimmte Wörter plötzlich häufiger vorkommen, gab es früher auch schon. Aber in der Regel waren das dann Substantive, und sie hatten einen inhaltlichen Bezug, etwa „Covid“ in der Pandemie.
Was in den letzten anderthalb Jahren passierte, ist anders: Es geht vor allem um Verben und Adjektive, und praktisch ausschließlich um stilistische Wörter: delve, underscore, pivotal, crucial. Wissenschaftler haben diese Wörter jetzt genutzt, um abzuschätzen, bei welchem Anteil der aktuell publizierten PubMed-Abstracts LLMs geholfen haben. Sie kommen bei konservativer Schätzung auf 13 Prozent, wahrscheinlich sind es eher 30 Prozent. Nicht ganz so viele wie bei den Hausarbeiten Ihrer Kinder, aber fast. Wenig überraschend ist der LLM-Anteil in Magazinen, die ohnehin alles durchwinken, am größten. Ich nenne jetzt keine Namen.
„Bei 13 Prozent der aktuell publizierten pubmed-abstracts haben LLMs (Große Sprachmodelle) geholfen.“
Dr. Doxx
Für Sie als praktizierende Ärzte sind das gute Nachrichten. Die medizinische Doktorarbeit, eine eher lästige Umleitung auf dem Weg ins ambulante Praxis-Nirwana, wird noch einfacher. Ein paar hundert Datensätze in zwei Wochen durch ein Statistik-Tool zu jagen, damit haben ohnehin wenige ein Problem. Die Schwierigkeit für uns Praktiker der Medizin besteht darin, aus dem Lehm der Rohdaten einen vorzeigbaren Text-Golem zu formen. Diese Lehmarbeit kann nach zwei Wochen Statistik-Tool gut und gerne sieben Jahre dauern. Wenn ein LLM künftig die Töpferscheibe spielt, so what?
Also es sei denn, Sie sind so ein Typ wie ich, dem das mit den Text-Golems leichter fällt, als ein paar Ratten in ein Kardio-MRT zu legen. Völlig fiktiv natürlich. Als Typ wie ich fragen Sie sich bei der genannten Forschungsarbeit eher, ob sich nicht auch beim Erstellen dieser Kolumne Effizienzgewinne mit LLMs realisieren ließen. Sie würden hier dann mehr so Ausdrücke finden wie „Effizienzgewinne realisieren.“
Der Vorwurf, der immer kommt, wenn man zu viel Textarbeit an ein LLM outsourced, lautet, dass man die Leserschaft mit Bullshit-Bingo belästige. Aber seien wir mal ehrlich, das ist nichts, womit man uns beeindrucken könnte, die wir über ein Jahrzehnt unseres Lebens in den ehrwürdigen Mauern deutscher Universitäten verbringen durften. Wer das vor über hundert Jahren schon wusste, war Gustav Meyrink, der in „Der Golem“ das Zeitalter der LLMs quasi antizipiert hat: „Entschuldigen Sie, dass ich so furchtbar gescheit daherrede, aber wenn man an der Universität ist, kommt einem eine Menge vertrottelter Bücher unter die Hände; unwillkürlich verfällt man dann in eine deppenhafte Ausdrucksweise.“
Und hier noch das heutige Bildungsquiz: Der Roman „Der Golem“ zerstört nicht nur die mitteleuropäische Gelehrtenkultur. Er enthält auch einen der bekanntesten ersten Sätze der ganzen Literaturgeschichte. Falls Sie ihn wider Erwarten nicht spontan rezitieren können, hilft vielleicht die Überschrift – oder das LLM Ihres Vertrauens.
Herzlichst,
Ihr Dr. Doxx“
Der Artikel erschien erstmals am 23. September 2025 im x.press 25.4.
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