Porträt: Der Unabhängige

von Miriam Mirza
Dr. Oliver Abbushi leitet eine große Hausarztpraxis in Deisenhofen bei München – und sieht sich nicht nur als Versorger, sondern auch als Fürsprecher für eine menschliche, ganzheitliche Medizin. Warum er fast Journalist geworden wäre, was ihn an Klinikstrukturen frustriert hat und warum es ihm nicht genügt, einfach nur Patientinnen und Patienten zu behandeln, erzählt er im x.press-Porträt.
Vom Journalismus zur Medizin
Dr. Oliver Abbushi wusste früh, was er nicht wollte: „Ich bin in einer Medizinerfamilie groß geworden und wollte ursprünglich auf keinen Fall Medizin studieren.“ Der 1972 in Berlin geborene Sohn zweier Ärzte – der Vater Anästhesist, die Mutter Hausärztin – entschied sich zunächst für ein Studium der Politikwissenschaft, Geschichte und Kommunikationswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München. „Mein eigentliches berufliches Ziel war, Auslandskorrespondent zu werden. Mein Vorbild war der zu dieser Zeit sehr bekannte deutsche Auslandskorrespondent Peter Scholl-Latour.“ Doch die theoretische Ausrichtung seines Studiums langweilte ihn bald. Rückblickend erkennt Abbushi: „Ich brauchte etwas Strukturierteres, mit mehr Praxisbezug.“
Den entscheidenden Impuls gab ein Nebenjob als Pflegehelfer in der Rinecker-Klinik in München. Abbushi schob Betten hin und her und assistierte bei Notfall-Endoskopien, die oft nachts bei Magenblutungen notwendig waren. „Das war eindrucksvoll. Ich habe gesehen, wie unmittelbar und sinnstiftend Medizin sein kann“, erinnert er sich. Die Erfahrung ließ ihn seinen ursprünglichen Plan überdenken, nicht in die medizinischen Fußstapfen seiner Familie zu treten – und mündete schließlich 1994 in der Aufnahme seines Medizinstudiums an der Universität Göttingen. Später wechselte er an die Charité in Berlin und absolvierte das Praktische Jahr am Münchner Klinikum Rechts der Isar. 2006 erhielt er die Approbation und schloss die Ausbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin an.

Klinik? Nein, danke.
Die Tätigkeit während seiner Facharztausbildung im Krankenhaus vermittelte Abbushi einerseits viel wertvolles Wissen, zeigte ihm aber andererseits auch deutlich Strukturen auf, die ihm nicht gefielen. „Die Karrierewege waren brüchig. Man gibt jahrelang alles, arbeitet für die Chefs, und wenn ein neuer Chef kommt, ist man schneller draußen, als man denkt“, sagt der Mediziner. Nach Stationen im Klinikum Rechts der Isar, in Gastroenterologie und Notaufnahme, arbeitete Abbushi in Schwabing in der Diabetologie, Chirurgie, Gynäkologie und Notaufnahme.
Irgendwann spürte der Arzt, dass es Zeit für etwas Neues war. Er entschied sich für einen Wechsel in die niedergelassene Praxis – und da bot sich die Praxis seiner Mutter Dr. Gudrun Abbushi natürlich an. Das letzte halbe Jahr seiner Weiterbildung absolvierte er hier, arbeitete im Jobsharing mit seiner Mutter, die sich eigentlich in absehbarer Zeit zurückziehen wollte. Abbushi erinnert sich: „Das war 2007. Sie wollte nach zwei Jahren gehen, und was soll ich sagen? Es ist das Jahr 2025 und sie ist immer noch da.“ Was er daraus gelernt hat? „Aufhören mit dem Arztsein – das geht nicht so einfach.“
Seit 2014 hat Abbushi endgültig die Leitung der elterlichen Praxis in Deisenhofen übernommen; seine Mutter ist immer noch Teil des Teams, arbeitet allerdings nicht mehr Vollzeit. In seiner Praxis arbeiten aktuell vier weitere Ärztinnen und Ärzte. Irgendwann gab es die Gelegenheit, die Räumlichkeiten zu erweitern. Abbushi entschied sich dafür, was auch höhere Patientenzahlen mit sich brachte. Darüber hinaus hat er im Laufe der Zeit neue Arbeitsweisen und Technologien eingeführt, aber – das betont er anerkennend: „Vieles, was wir heute noch machen, geht auf die Ideen meiner Mutter zurück.“ Sie hat ein starkes Fundament geschaffen, auf dem ihr Sohn aufbaut und das ganzheitliche Verständnis von Medizin mit Patientinnen und Patienten im Mittelpunkt weiterträgt.

Berufspolitisch engagiert
Was in seiner Praxis beginnt, denkt Dr. Abbushi auch auf Systemebene weiter. Seit 2006 engagiert er sich berufspolitisch und ist in München Vorstand der Stiftung des Bayerischen Hausärzteverbandes. „Ich möchte, dass dieser wunderschöne Beruf – Hausärztin, Hausarzt – auch Zukunft hat.“ Dafür braucht vor allem die nachfolgende Generation Unterstützung. Der Verband hat darum zusammen mit Sternekoch Alexander Herrmann das Kochbuch „Heldenküche“ entwickelt. „Bei Bestellung des Kochbuchs über den Hausärzteverband gehen 10 Euro des Erlöses in unsere wichtigste Aufgabe, die Nachwuchsförderung“, berichtet der Mediziner. Ein weiteres Ziel, das Abbushi mit dem Hausärzteverband in den letzten Jahren erreichen konnte: In der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV) wird in den Selektivverträgen bereits heute ein freiwilliges Primärarztsystem umgesetzt. In Deutschland sind bereits zehn Millionen Patientinnen und Patienten eingeschrieben.
Sein Selbstbild als Arzt ist geprägt von der Nähe zu seinen Patientinnen und Patienten. Für ihn beginnt Medizin mit Zuhören und einer ganzheitlichen Betrachtung der Lebensumstände von Menschen. Diese Haltung zieht sich durch seine Arbeit – und durch das Konzept der Praxis, das Teammedizin mit Verantwortung verbindet. Dazu gehört die Zusammenarbeit mit Pflegeeinrichtungen, sozialen Diensten und Angehörigen. Abbushi versteht seine Einrichtung als Teil einer lokalen Versorgungsstruktur, die auch gesellschaftliche Verantwortung übernimmt, etwa durch Hausbesuche, Pflegeheimversorgung oder die Unterstützung bei der Vermittlung von Pflegeplätzen.
„Aufhören mit dem Arztsein – das geht nicht so einfach.“
Dr. Oliver Abbushi
Digital, aber nicht distanziert
Trotz aller Bodenhaftung ist Abbushi kein Gegner von Innovation. Seine Praxis nutzt viele digitale Tools, die ihm und dem Team die Arbeit leichter machen. Er setzt beispielsweise zunehmend die Videosprechstunde ein und hat damit gute Erfahrungen gemacht. „Wir nutzen alles, was hilft – Videosprechstunde, digitale Akte, eRezept. Aber der persönliche Kontakt bleibt zentral“, fasst er zusammen. Der Mediziner sieht in der Digitalisierung nicht nur Effizienzpotenzial, sondern auch eine Notwendigkeit, um knappe personelle Ressourcen zu schonen.
Auffällig findet er, dass trotz des ganzen Technikeinsatzes und der Effizienzsteigerung nicht mehr Freiraum für Freizeit herauskommt. „Ich habe bei all der Digitalisierung noch nie das Gefühl gehabt, dass mir am Ende wirklich mehr Zeit bleibt. Es wird vieles besser, aber es kommt auch immer wieder neue Arbeit dazu.“ Folglich ist ihm seine knappe private Zeit besonders wichtig. Die verbringt er am liebsten mit seinen zwei Töchtern und seiner Frau oder Freunden. „Für Sport hätte ich auch gerne mehr Zeit. Der kommt nämlich häufig zu kurz“, gibt er zu. Er begegnet dieser Herausforderung, indem er mit dem Fahrrad zur Praxis fährt.
Darüber hinaus ist er vielseitig interessiert, liest gern, hört Musik, beschäftigt sich mit Politik. Und er pflegt einen sehr bunt gemischten Freundeskreis. „Es gibt so viele interessante Menschen, mit denen ich mich viel häufiger austauschen möchte. Aber genau das kommt im Alltag oft viel zu kurz. Und ich glaube, irgendwann lässt sich diese verpasste Zeit vielleicht auch gar nicht mehr aufholen.“
Hausarztpraxis Dr. Abbushi
Die Hausarztpraxis Dr. Abbushi in Deisenhofen ist seit ihrer Gründung durch Dr. Gudrun Abbushi 1973 in Familienhand. Derzeit arbeiten neben Dr. Oliver Abbushi und seiner Mutter vier weitere Ärztinnen und Ärzte, darunter zwei Weiterbildungsassistentinnen und -assistenten, in Vollzeit. Außerdem umfasst das Team eine Praxismanagerin, zwei Versorgungsassistentinnen und eine Betriebswirtschaftliche Assistentin in der Hausarztpraxis. Hinzu kommen zwei weitere Medizinische Fachangestellte in Teilzeit, drei Auszubildende zu Medizinischen Fachangestellten und eine Verwaltungsangestellte. Die Praxis verfolgt einen ganzheitlichen hausärztlichen Ansatz, bei dem körperliche und seelische Aspekte gemeinsam berücksichtigt und Therapieentscheidungen im Austausch getroffen werden. Neben der Behandlung von Patientinnen und Patienten aller Altersgruppen engagiert sich das Team auch über die Praxis hinaus, etwa in der Betreuung von Pflegeeinrichtungen und durch Unterstützung bei der Suche nach freien Pflegeplätzen in der Umgebung.
Der Artikel erschien erstmals am 23. September 2025 im x.press 25.4.
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