Flexible Verbindungen

von Philipp Grätzel
Es gab Zeiten, da bestand die Online-Aktivität von Arztpraxen darin, eine Webseite bauen zu lassen, gerne von Sohn oder Tochter des Praxisinhabers. Diese Webseite führte die Praxisadresse, die Sprechzeiten, eine Telefonnummer, eine Faxnummer und – das war dann schon für Fortgeschrittene – eine anklickbare E-Mail-Adresse der Arztpraxis auf. Allenfalls wurden noch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie das Angebotsspektrum kurz vorgestellt. Interaktionen mit Patientinnen und Patienten? Fehlanzeige.
Zuerst Termin-Tools und Videosprechstunden
Es gibt sie noch, solche Online-Auftritte, aber alles in allem gehen diese Zeiten dem Ende zu. Mittlerweile existiert ein ganzes Spektrum an Tools, mit denen Arztpraxen mit ihren Patientinnen und Patienten in digitalen Kontakt treten können. Schon länger genutzt werden Anwendungen für eine digitale Terminbuchung, die sich in den Webauftritt der Praxen einbinden lassen. Anbieter in diesem Bereich sind samedi, jameda, Doctolib und Dr. Flex. Auch medatixx hat mit x.webtermin eine beliebte Terminlösung im Portfolio.
Videosprechstunden kamen bei vielen Praxen hinzu, als draußen vor der Praxistür das SARS-CoV-2-Virus wütete. Längst nicht alle machten damit nach der Pandemie weiter, aber doch eine ganze Menge. Und zuletzt nahm die Zahl auch wieder zu. Bei den Videosprechstunden ist das Anbieterspektrum noch breiter als bei den Terminlösungen. Patientus, MEDITyme, arztkonsultation, Sprechstunde Online, VIOMEDI sowie die medatixx-Lösung x.onvid treten hier auf den Plan, um nur einige zu nennen.
Klassische Videosprechstunden wurden in den letzten Jahren ergänzt durch asynchrone telemedizinische Dienstleistungen. Die sind nicht für alle Fachrichtungen gleich gut geeignet, aber zum Beispiel in der Dermatologie extrem beliebt. Dort bewerben viele Kolleginnen und Kollegen teledermatologische Kontaktoptionen über ihre Homepage, technisch basierend auf den Angeboten von Plattformanbietern wie OnlineDoctor oder dermanostic. Jenseits der Dermatologie ist eine ganze Reihe weiterer Telemedizinanbieter mit unterschiedlichen Angeboten unterwegs. Sie tragen Namen wie ZAVA, TeleClinic oder Doktor.De. Telemedizinische Dienstleistungen finden sich auch an unerwarteter Stelle, etwa in der ADAC Medical App. Die „gelben Engel“ haben keine eigenen Lösungen, sondern kooperieren mit Akteuren wie Medgate oder Doctolib – und damit indirekt auch wieder mit Arztpraxen.

Jetzt wird’s vielfältig
Was sich mit Termin-Tools und Videosprechstunden abzuzeichnen begann, ist eine komplexe Vielfalt digitaler Anwendungen, die Arztpraxen sich je nach Fachrichtung, Größe der eigenen Einrichtung und individuellem Bedarf oder Zusammensetzung des individuellen Patientenkollektivs zusammenstellen. Die Zeiten, in denen Praxissoftware, Terminplaner und allenfalls noch Digitalarchiv die einzigen IT-Lösungen waren, um die sich ein Praxis-Chef oder eine Praxis-Chefin Gedanken machen musste, sind vorbei. Zunehmend entsteht vielmehr etwas, das in IT-Kreisen gerne „digitales Ökosystem“ genannt wird: eine Art Landschaft aus teils hoch spezialisierten Anwendungen, die unterschiedlichste Funktionen erfüllen, welche im Idealfall gut zueinanderpassen und aufeinander abgestimmt sind.
Ein solches Ökosystem neuer Prägung geht über Terminbuchung und Telemedizinplattformen weit hinaus. Zunehmend drängen Messenger-Dienste in den Markt – medizinspezifische WhatsApp-Anwendungen für die Kommunikation mit Kolleginnen und Kollegen und/oder Patientinnen und Patienten, die speziell -gesichert sind und die bei entsprechender gematik-Zulassung auch in der Telematikinfrastruktur verwendet werden können. Famedly und Siilo sind die bei Ärztinnen und Ärzten bekanntesten Messenger. Es gibt außerdem Telekonsultations-Anwendungen für die innerärztliche Kommunikation. Im patientennahen Bereich erfreuen sich digitale Anamneseerhebung und Patientenaufklärungen zunehmender Beliebtheit, mit Anbietern wie Thieme Compliance, Nelly, Idana oder Athena. Digitales Impfmanagement ist ein weiteres Spezialthema, hier hat medatixx mit x.impfen einen Pfeil im Köcher.
Diagnostiklösungen aller Art sind ebenfalls Teil des entstehenden Ökosystems. Zu nennen sind Laborportale, aber auch Medizintechniksoftware aller Art und IT-Plattformen im Kontext von Screening-Untersuchungen für den Point-of-Care- und/oder Heimgebrauch. Cerascreen wäre ein Beispiel. Apps und Plattformen für das kontinuierliche Glukose-Monitoring (CGM) sind in der Diabetologie weit verbreitet. Es gibt Praxen, die gleich drei oder vier CGM-Plattformen parallel nutzen oder nutzen müssen.

„Copy-Paste ist die Regel“
Die Liste ließe sich noch fortsetzen, um Finanz- und Buchhaltungs-Tools, um Anwendungen, die Forschung mit Gesundheitsdaten erlauben, und um Systeme für die Entscheidungsunterstützung. Auch kombinierte Anwendungen sind im Kommen. Sehr beliebt sind derzeit beispielsweise sogenannte Online-Rezeptions-Lösungen, die sich nach Art eines Widgets in die Praxis-Homepage einbinden lassen und gleich eine ganze Reihe an Funktionen zur Verfügung stellen – von der Rezeptanforderung über die Terminvereinbarung bis zu Überweisung, Befundanforderung oder AU-Bescheinigung: „Diese Anwendungen verlagern einen Teil dessen, was sonst am Empfang stattfindet, ins Virtuelle, was für viele Praxen sehr komfortabel ist, weil es Wartezimmer und Telefonleitungen entlastet“, so Michael Schober, Leitung Plattform- und Geschäftsentwicklung bei medatixx.
Bisher, so Schober, liefen viele dieser Anwendungen allerdings noch relativ separat von der eigentlichen Praxissoftware: „Es gibt natürlich für einzelne Anwendungen proprietäre Schnittstellen. Aber im Großen und Ganzen ist eine doppelte Datenerfassung oder das manuelle Abarbeiten der von der Drittsoftware angestoßenen To-dos in der Praxissoftware die Regel, sofern es sich nicht um integrierte Angebote des jeweiligen Praxissoftware-Anbieters handelt.“ Mit anderen Worten: Wenn sich Patientinnen und Patienten über eine Online-Rezeption Termine verschaffen möchten, dann wird das häufig noch manuell von einer MFA in den „Hauptterminkalender“ der Praxissoftware übertragen. Auch die eRezept- oder eAU-Bestellung landet nicht direkt in der Praxissoftware, sondern muss häufig manuell erfasst werden.
Interview: „Wir sind insgesamt auf einem guten Weg“
Die KVWL treibt die Digitalisierung der ambulanten Medizin mit Verve voran – und fokussiert sich dabei insbesondere auf die digitale Transformation und deren Herausforderungen im alltäglichen Praxisbetrieb.
Digitale und analoge Welt wachsen zusammen
Im telemedizinischen Bereich gibt es dieses Problem ebenfalls. Telemedizinanbieter arbeiten in der Regel mit eigenen Softwareplattformen – was spätestens dann mühsam wird, wenn nicht nur fremde, sondern auch die eigenen Patientinnen und Patienten telemedizinisch betreut werden sollen. Ein sehr engagierter Berliner Dermatologe bestellt beispielsweise Patientinnen und Patienten, die ihn per Online-Konsultation kontaktieren, bei Bedarf direkt in die Praxis ein. Und wenn bei einem Präsenzpatienten Nachkontrollen nötig sind, die nicht zwingend vor Ort erfolgen müssen, dann bietet er dafür einen Teledermatologie-Termin an. Die Nachkontrolle wird dann per PDF-Import an die Karteikarte angedockt, aber sehr komfortabel ist das nicht.
Könnte der jeweilige Praxissoftware-Anbieter nicht einfach die ganzen attraktiven Anwendungen selbst anbieten, schön integriert in die eigene Software, damit keinerlei Doppeldokumentation nötig ist? Teilweise wird das gemacht. Doch die digitalen Möglichkeiten sind mittlerweile so vielfältig, dass kein einzelnes Unternehmen alles leisten kann. Um seinen Kundinnen und Kunden einen komfortableren, stärker mit der Praxis-IT verzahnten Zugang zu -innovativen Anwendungen anderer Unternehmen zu ermöglichen, wird medatixx deswegen ab 2025 seine Praxissoftwarelösungen mit Hilfe einer FHIR-basierten Standardschnittstelle (FHIR, Fast -Healthcare Interoperability Resources) für den Zugriff durch andere Anwendungen öffnen (siehe Kasten: „So macht es medatixx“).
Öffnung der IT-Systeme politisch erwünscht

Tatsächlich ist medatixx mit der Öffnung seiner Praxissoftware zwar einer der Vorreiter im ambulanten deutschen Gesundheitswesen, aber keineswegs der einsame Rufer im Walde. Politisch stehen die Zeichen unter dem Oberbegriff „Interoperabilität“ schon seit einiger Zeit auf digitales Ökosystem. Der Weg in Richtung mehr Interoperabilität ist allerdings aufgrund der sehr ausdifferenzierten, relativ komplexen und von vielen Regularien eingehegten IT-Landschaft im deutschen Gesundheitswesen mühsamer, als viele angenommen hatten.
Es hat sich aber doch einiges getan. Strukturen, die die nötige Autorität und die nötige Durchsetzungsfähigkeit haben, IT-Standards in der medizinischen Versorgung zu etablieren, existieren vielleicht noch nicht, aber sie zeichnen sich zumindest langsam ab. Insbesondere hat die Ampelkoalition mit dem Digital-Gesetz aus einer eher zahnlosen, bei der gematik angesiedelten „Koordinierungsstelle für Interoperabilität“ das politisch deutlich kraftvoller konzipierte „Kompetenzzentrum Interoperabilität im Gesundheitswesen“ (KIG) gemacht (siehe x.press 24.4). Das KIG kann selbst IT-Standards in Auftrag geben, Qualitätskriterien dafür definieren und über die sogenannte Konformitätsbewertung die Umsetzung der Standards in den IT-Lösungen auch überprüfen und zertifizieren.
Bisher wurden Fortschritte allerdings eher im stationären Bereich erzielt. Zu nennen sind hier vor allem die ISiK-Schnittstellen nach § 373 SGB V. ISiK steht für „Informationstechnische Systeme in Krankenhäusern“. Es handelt sich um verpflichtende Vorgaben im Hinblick auf Schnittstellen, die einen Datenaustausch zwischen unterschiedlichen Krankenhaus-IT-Systemen ermöglichen. Die entsprechende Regelung kam 2020 mit dem Patientendaten-Schutz-Gesetz (PDSG) ins SGB V.
Negativbeispiel Wechselschnittstelle
Im ambulanten Bereich gibt es bisher keine zu ISiK analogen gesetzlichen Regelungen. Das hat unter anderem damit zu tun, dass es ambulant (noch) mehr Instanzen gibt, die beim Thema Standards politisch mitreden wollen, unter anderem die Kassenärztlichen Vereinigungen mit ihren Tochterunternehmen. Das -geplante Gesundheits-Digitalagentur-Gesetz (GDAG) zielte auch darauf ab, die Verantwortlichkeiten etwas besser zu sortieren. Aber es fiel dem vorzeitigen Ende der Ampelkoalition zum Opfer.
Tatsächlich gab es 2020 im Rahmen des PDSG einen Versuch, Schnittstellen im ambulanten Sektor zu harmonisieren. Das Gesetz brachte damals nämlich auch die sogenannte Archiv- und Wechselschnittstelle (AWS oder AWST) ins SGB V. Diese Schnittstelle sollte den Wechsel von einer Praxissoftware zu einer anderen erleichtern. Sie wurde von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) spezifiziert und im Juni 2021 eingeführt, aber so gut wie nie genutzt, weil sie nicht zufriedenstellend funktioniert, wie selbst offizielle Gremien der gematik in umfassenden Analysen bestätigten.“
Diesmal soll es klappen
Trotz des Scheiterns der AWS(T) ist der Weg zu mehr Interoperabilität (auch) bei ambulanten IT-Systemen vorgezeichnet. International geht der Trend ohnehin in diese Richtung. Wer auch immer in einer neuen Bundesregierung im Bundesministerium für Gesundheit sitzen wird, wird die Stellung der gematik weiter festigen und das KIG weiter stärken. „Wenn wir jetzt mit unserer Schnittstelle vorlegen, dann tun wir das nicht, um Fakten zu schaffen oder um der Politik vorzugreifen“, so Schober. Es gehe vielmehr darum, sich mit Blick auf die regulatorischen Entwicklungen voranzutasten und nicht zuletzt Erfahrungen zu sammeln, die dann auch bei der Regulatorik helfen können: „Unsere Anwenderinnen und Anwender wollen innovative IT-Tools tief integriert in ihre Praxissoftware heute nutzen, nicht in ein paar Jahren. Wir wollen das möglich machen, und gleichzeitig arbeiten wir in den relevanten Gremien im Verband und bei der gematik mit, um ein einheitliches und abgestimmtes Vorgehen zu gewährleisten.“
So macht es medatixx
Das Unternehmen medatixx wird auf der IT-Messe DMEA 2025 in Berlin das Konzept hinter dem medatixx HealthHub vorstellen. Mit ihm wird medatixx eine universelle, herstellerunabhängige Standardschnittstelle für den Datenaustausch zwischen Praxissoftwarelösungen von medatixx einerseits und externen IT-Lösungen für Arztpraxen andererseits ermöglichen. IT-Hersteller, die Anwendungen entwickeln, welche Daten mit hauseigenen Praxissoftwarelösungen austauschen sollen, durchlaufen eine Art Akkreditierungsprozess und können ihre Anwendungen dann entsprechend anbinden.
In der konkreten Umsetzung wird der medatixx HealthHub eine Online-Anlaufstelle für Unternehmen sein, über die Spezifikationen der Schnittstellen sowie Infos zu Akkreditierung, Onboarding & Co. zugänglich sind. Für das Testen der Schnittstellen wird es entsprechende Testszenarien bzw. Testanwendungen geben. Erste Unternehmen, die im Rahmen des medatixx HealthHub mit dem Unternehmen zusammenarbeiten werden, sind bereits an Bord. Nicht zuletzt wird es der medatixx HealthHub auch großen Organisationsstrukturen im ambulanten Gesundheitswesen einfacher machen, für ihre Praxen oder Standorte attraktive digitale Pakete zu schnüren.
Aus Sicht der Anwenderinnen und Anwender in den Praxen wird durch den medatixx HealthHub der digitale Nutzerkomfort deutlich steigen, weil immer mehr Anwendungen komfortabel mit der Praxissoftware verknüpft werden können. Dadurch, dass anzubindende Lösungen von medatixx akkreditiert werden müssen, wird außerdem gewährleistet, dass relevante Standards bei Datenschutz und Datensicherheit eingehalten werden. Darüber hinaus soll der medatixx HealthHub dabei helfen, sich einen Überblick über die verfügbaren IT-Tools für Arztpraxen zu verschaffen.
Der Artikel erschien erstmals am 25. März 2025 im x.press 25.2.