Interview: Von der Technologie- zur Versorgungsperspektive

Die gematik hat mit einer neuen Geschäftsführung während des Regierungswechsels den ePA-Rollout auf den Weg gebracht. Dr. Florian Fuhrmann erläutert im Interview die künftige Arbeitsweise und Ausrichtung der für die Telematikinfrastruktur zuständigen Gesellschaft.

Die gematik hat jetzt seit rund einem Jahr eine neue Geschäftsführung, bestehend aus drei Personen. Wie hat sich dieses Modell eingegroovt? 

Das lief von Anfang an sehr gut und harmonisch. Wir sind unterschiedliche Typen mit unterschiedlichem Background, aber das soll ja auch so sein. Es gibt sehr viel Austausch, wir sitzen auch alle gemeinsam in einem Büro. Als Vorsitzender bilde ich die Klammer, die alles zusammenhält. Schonfrist für mich persönlich gab es nicht, da ich bereits seit vielen Jahren mit den Themen rund um die Telematikinfrastruktur und der gematik vertraut bin. Die Crunchtime des ePA-Rollout quasi ab Tag eins zu begleiten, das war schon ein Highlight gleich zu Beginn.

Der ePA-Rollout ist für die Arztpraxen im Moment ein dominantes Digitalthema. Wie geht es damit und danach jetzt weiter?

Mitte Juli gab es mit dem Release 3.0.5, einer Ausbaustufe der ePA, die ePA-Integration des TI-Messengers (TIM), außerdem die Desktopvariante der ePA. Das Release 3.1 ist für 2026 geplant. Das ist dann der nächste große Schritt. Welche Anwendungen im Detail wann vorgesehen sind, kann man in unserer neuen Roadmap, der OneRoadmap, nachschlagen. Damit kommen wir einem vielfach geäußerten Wunsch nach, für mehr Transparenz zu sorgen. Wir arbeiten auch intensiv an weiteren Rezepttypen, aktuell zum einen am Konzept für das E-BtM-Rezept und für das Thalidomid-Rezept, das T-Rezept, aber auch daran, Rezepte im Ausland einzulösen. Außerdem wird in der Modellregion Hamburg & Umland pilotiert, dass digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) über das eRezept verschrieben werden können.

Von den Anwendungen zur großen Politik: Wie sieht die gematik aktuell ihre Rolle im vielstimmigen Konzert der gesundheits- und digitalpolitischen Akteure?

Wir sehen uns zum einen als Koordinator und Vermittler der digitalen Transformation im Gesundheitswesen, zum anderen als diejenigen, die für die Telematikinfrastruktur die Gesamtverantwortung tragen. Wenn die digitale Transformation im deutschen Gesundheitswesen gelingen soll, braucht es eine starke gematik, davon sind wir fest überzeugt.

„Wir sehen uns auch als Koordinator und Vermittler der digitalen Transformation.“

Also eine Digitalagentur, wie das im Gesundheits-Digitalagentur-Gesetz (GDAG) vorgesehen war?

Die gematik arbeitet bereits an vielen Stellen wie eine Digitalagentur und wird sich noch weiter in diese Richtung entwickeln: Denn damit die digitale Transformation gelingen kann, braucht es viel Transparenz, viel Co-Creation und intensive Zusammenarbeit mit allen Stakeholdern. Diesen grundlegenden Anspruch haben wir. Dass das GDAG nicht mehr zustande kam, fanden viele bedauerlich, wir auch. Aber aus Sicht der gematik kann ich sagen: Wir sind mit dem aktuellen gesetzlichen Rahmen handlungsfähig. Ich gehe weiter davon aus, dass es absehbar ein Gesetz geben wird, das die Punkte aufnimmt, die noch offen sind. Das betrifft unter anderem den European Health Data Space (EHDS). Die Richtung ist klar.  

Die gematik hat schon vor einiger Zeit angekündigt, sich neben den Kernthemen Interoperabilität und Standards verstärkt um digitale Versorgungsprozesse zu kümmern, also näher an die Versorgung zu rücken. Was ist daraus geworden?

Wir können Vollzug melden. Die neue Stabsstelle hat zum 1. August die Arbeit aufgenommen. Stabsstellenleiterin ist die Berliner Unfallchirurgin Dr. Johanna Ludwig. Vielleicht noch mal zum Hintergrund: Die gematik war lange Zeit sehr technologisch ausgerichtet. Der Anspruch war von Anfang an, dass wir die gematik von der reinen Technologieperspektive hin zu einer Versorgungsperspektive bewegen. Ein Primärarztsystem zum Beispiel wird nur dann funktionieren, wenn es mit intelligenten, digitalen Prozessen hinterlegt ist und bei jedem Behandlungsschritt die gemeinsamen Patientendaten einrichtungsübergreifend zur Verfügung stehen. Diese Anforderungen aus der Versorgung müssen wir als gematik aufnehmen und umsetzen. Nicht nur in diesem Kontext wird die Stabsstelle Versorgung eine zentrale Rolle spielen.

Nun sind ambulante Versorgungsprozesse die Kernkompetenz der Kassenärztlichen Vereinigungen und anderer Leistungserbringerorganisationen. Kein Konfliktpotenzial?

Im Gegenteil, wir reduzieren das Konfliktpotenzial, wenn wir eigene Kompetenz im Bereich Versorgungsprozesse aufbauen. Die Stabsstelle soll ganz intensiv in Kontakt treten mit den Berufsverbänden, mit den Haus- und Fachärztinnen und -ärzten, mit MFAs, PTAs, Apothekerinnen und Apothekern, und sie soll sich wirklich an der Basis die Workflows ansehen und mitentwickeln. Wir machen das jetzt schon, aber ich glaube, die Stabsstelle wird da noch mal neuen Drive hineinbringen. Es passt auch zu dem, was anderswo passiert. Das BMG hat ein Versorgungsreferat geschaffen, bei der KBV gibt es eine Stabsstelle Digitalisierung. Das alles wird dazu führen, dass sich die Beteiligten noch besser austauschen. Am Ende profitieren davon die Versorgerinnen und Versorger, da bin ich fest von überzeugt. Wir haben übrigens auch in der Produktion einige Prozesse umgestellt, konkret diverse Punkte definiert, an denen wir noch mal innehalten und überprüfen, ob der Versorgungskontext optimal abgebildet ist. Wichtig ist: Es geht nicht darum, den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden. Das hatten wir schon. Wir wollen dadurch, dass wir Kompetenzen zusammenbringen, zu richtig guten Prozessen kommen, die auch mal ganz anders aussehen können als bisher.