Videosprechstunde: ein zeitgemäßes Angebot

von Miriam Mirza
Noch vor wenigen Jahren galten Videosprechstunden in Deutschland als telemedizinische Randerscheinung – ein Format, das eher in Fachzeitschriften diskutiert als in Arztpraxen praktiziert wurde. Viele Ärztinnen und Ärzte standen der digitalen Konsultation skeptisch gegenüber, hielten sie für unpraktisch, unpersönlich oder schlichtweg zu experimentell für den medizinischen Alltag. Erst durch die Lockerung regulatorischer Hürden und insbesondere unter dem Druck der COVID-19-Pandemie vollzog sich ein tiefgreifender Wandel: Aus der belächelten Ausnahme wurde ein fester Bestandteil der ambulanten Versorgung. Die Videosprechstunde ist heute nicht nur akzeptiert, sondern vielerorts etabliert – und steht sinnbildlich für den digitalen Aufbruch im Gesundheitswesen.
Vom Experiment zur Regelleistung
Die Entwicklung der Videosprechstunde in Deutschland wurde maßgeblich durch die Lockerung des Fernbehandlungsverbots beeinflusst. Dieses hob die Landesärztekammer Schleswig-Holstein im April 2018 als erstes Bundesland auf, nachdem bereits die Landesärztekammer Baden-Württemberg im Oktober 2017 die ausschließliche Fernbehandlung von Privatpatientinnen und -patienten in einem Pilotprojekt mit dem Unternehmen TeleClinic erlaubte. Damit war der Weg für telemedizinische Behandlungen geebnet. Kurz darauf, im Mai 2018, wurde auf dem 121. Deutschen Ärztetag die ausschließliche Fernbehandlung durch eine Änderung der (Muster-)Berufsordnung für Ärztinnen und Ärzte bundesweit ermöglicht.
Diese regulatorischen Anpassungen schufen die Grundlage für die Integration der Videosprechstunde in die medizinische Versorgung in Deutschland. Allerdings löste diese Entwicklung unter Ärztinnen und Ärzten zunächst kontroverse Reaktionen aus. Die einen begrüßten die Entscheidung als längst überfälligen Schritt in Richtung moderner medizinischer Versorgung, die den Bedürfnissen einer zunehmend digitalisierten Gesellschaft gerecht wird und insbesondere in ländlichen Regionen Versorgungsengpässe lindern könnte. Gleichzeitig gab es aber auch erhebliche Bedenken, insbesondere bezüglich des Verlusts persönlicher Arzt-Patienten-Beziehungen und möglicher Qualitätseinbußen durch fehlenden direkten Kontakt. Laut einer Befragung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) stand im Jahr 2019 etwa die Hälfte der Ärztinnen und Ärzte der ausschließlichen Fernbehandlung skeptisch gegenüber.
Erst mit dem pandemiebedingten Zwang zur digitalen Öffnung ab 2020 verbesserten sich Akzeptanz und Nutzung der Videosprechstunde deutlich, und die telemedizinische Betreuung fand breite Unterstützung in der Ärzteschaft. Während der Pandemie etablierten sich telemedizinische Konsultationen binnen weniger Monate zu einem festen Bestandteil der ambulanten Versorgung. Eine Studie der KBV ergab, dass bereits 2021 mehr als die Hälfte aller niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte Videosprechstunden zumindest gelegentlich nutzten, wobei insbesondere Fachrichtungen wie Psychotherapie und Allgemeinmedizin eine Vorreiterrolle übernahmen.

Rückgang nach der Pandemie
Nach diesem Erfolg wähnten viele Expertinnen und Experten den endgültigen Durchbruch für die Videosprechstunde in der Medizin – und damit einen enormen Sprung für die Digitalisierung des Gesundheitswesens. Doch allzu optimistische Hoffnungen erlebten zunächst einmal einen kräftigen Dämpfer: Nach dem Höhepunkt der Pandemie ließ sich ein deutlicher Rückgang bei der Nutzung der Videosprechstunde feststellen. Laut einer Analyse der Techniker Krankenkasse (TK) sank die Zahl der Videosprechstunden zwischen 2021 und 2023 um rund 40 Prozent – von 956 000 auf etwa 576 000. Der Grund: Sowohl Patientinnen und Patienten als auch Praxen kehrten wieder zur gewohnten Präsenzbehandlung zurück. Zusätzlich waren technische Probleme und ungeklärte Datenschutzfragen Gründe gegen eine weitere Nutzung.
Neue Impulse von der Politik
Dennoch hat die Videosprechstunde aus Sicht der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) ihren festen Platz in der Medizin gefunden. „Die Videosprechstunde ist in der Versorgung angekommen“, betont Tanja Hinzmann, Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei der KBV, gibt aber zu bedenken: „Viele Erkrankungen können nicht per Video behandelt werden. Das fängt schon beim Abhören mit dem Stethoskop an.“
Laut KBV bleibt der persönliche Arzt-Patienten-Kontakt daher der Goldstandard. Derzeit liegt die Fallzahl- und Leistungsmengenbegrenzung der Videosprechstunde noch bei 30 Prozent, was von vielen Ärztinnen und Ärzten als zu restriktiv bemängelt wird. Ursprünglich begründete die KBV die Beibehaltung dieser Grenze mit dem Wunsch, die Videosprechstunde als Ergänzung zur Präsenzbehandlung zu positionieren – nicht als deren Ersatz. „Das wird sich aber in Kürze ändern“, informiert Hinzmann. „Es gibt nämlich den gesetzlichen Auftrag, die Obergrenze anzupassen. Die Verhandlungen mit den Krankenkassen dazu stehen kurz vor dem Abschluss.“ Hintergrund zu dieser Entwicklung ist das Digital-Gesetz (DigiG), mit dem die Politik die Telemedizin stärken möchte. Das Gesetz macht es zudem möglich, dass Ärztinnen, Ärzte, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten die Videosprechstunde auch außerhalb der Praxisräume – sozusagen aus dem Homeoffice – anbieten können, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen.
Neu ist zudem, dass Arzt- und Psychotherapiepraxen künftig verpflichtet sind, das Angebot von Videosprechstunden mindestens in ihren Praxisräumen transparent auszuweisen. Darüber hinaus müssen Praxisinhaberinnen und Praxisinhaber die Patientinnen und Patienten bereits bei der Terminvergabe über Art und Umfang der telemedizinischen Behandlung informieren. Ziel dieser Regelungen sei, für mehr Transparenz zu sorgen und Patientinnen und Patienten umfassend über ihre telemedizinischen Optionen aufzuklären, so die KBV.
Interview: Ohne Videosprechstunde geht es nicht mehr
Dr. Cordula Sohst-Brennenstuhl ist Fachärztin für Allgemeinmedizin und hat eine Praxis in Hamburg. Sie nutzt die Videosprechstunde seit der Pandemie und will sie nicht mehr missen. Im Gespräch erklärt sie, warum die Technologie ihren Arbeitsalltag erleichtert und was es dabei aus Ärztesicht zu beachten gilt.
Neue Vereinbarung
Zudem wurde am 1. März 2025 eine neue Vereinbarung zur Videosprechstunde in Kraft gesetzt, die hohe Qualitätsstandards sichert. Diese regelt unter anderem, dass Terminvermittlungsstellen in einem Ersteinschätzungsverfahren feststellen müssen, ob für den betreffenden Patienten oder die Patientin eine Videosprechstunde geeignet ist. Terminvermittlungsstellen dürfen künftig auch nicht nach Leistungswünschen priorisieren – also etwa, ob jemand nur eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wünscht –, sondern müssen medizinische Kriterien anlegen. Dr. Sibylle Steiner, Mitglied des Vorstands der KBV, betont: „Mit der Vereinbarung setzen wir zum einen gesetzliche Vorgaben um, zum anderen stärken wir die Qualität der Videosprechstunde. Terminvermittlungsdienste müssen nach medizinischen Kriterien und nicht nach Leistungswünschen priorisieren dürfen.“
Ein weiteres Ziel der Vereinbarung: Die Anschlussversorgung soll gewährleistet sein – also die Möglichkeit, dass Patientinnen und Patienten bei Bedarf im Anschluss an die Videosprechstunde zeitnah in einer erreichbaren Praxis weiterbehandelt werden können. „Das ist ganz im Sinne des Patienten“, so Steiner. „Letztlich also kommt die gemeinsame Vereinbarung von KBV und GKV-Spitzenverband allen Beteiligten zugute.“

Digitalisierung schafft neue Potenziale
Auch die elektronische Patientenakte (ePA) eröffnet neue Potenziale für die Videosprechstunde. Wenn ein Patient oder eine Patientin in den letzten 90 Tagen die Praxis besucht hat – inklusive erfolgreichem Versichertenstammdatenmanagement –, kann die ePA in der Videosprechstunde genutzt werden. Alternativ hat der Patient oder die Patientin die Möglichkeit, den Zugang über die ePA-App freizugeben. Ohne einen dieser Wege bleibt der Zugriff im Videokontakt allerdings verwehrt.
Die Vorteile der Videosprechstunde zeigen sich insbesondere darin, dass sie sowohl den Praxisbetrieb entlastet als auch die Versorgung für Patientinnen und Patienten deutlich vereinfacht. Besonders geschätzt wird, dass weite Anfahrten und Wartezeiten vermieden werden können, was gerade Familien mit Kindern und Berufstätigen sehr entgegenkommt. Auch die Flexibilität, Termine bequem zu Hause wahrzunehmen, trägt wesentlich zu einer entspannteren Atmosphäre bei. Zudem fördert die telemedizinische Behandlung eine aktivere Rolle der Patientinnen und Patienten, die häufig besser vorbereitet im virtuellen Sprechzimmer erscheinen und bereits im Vorfeld wichtige Informationen zusammengetragen haben. Für die Praxisteams bedeutet das weniger organisatorischen Aufwand und eine strukturiertere Vorbereitung der Arztgespräche. Nicht zuletzt bietet die Videosprechstunde gerade für Kontrolltermine oder Verlaufskontrollen, etwa bei chronischen Erkrankungen, eine hervorragende Möglichkeit, Patientinnen und Patienten kontinuierlich zu begleiten, ohne sie durch regelmäßige Praxisbesuche zusätzlich zu belasten. Insgesamt zeigt sich, dass die Videosprechstunde die medizinische Versorgung effizienter und patientenfreundlicher gestalten kann – vorausgesetzt, die Rahmenbedingungen ermöglichen eine flexible und praxisnahe Nutzung.
Ein weiterer Vorteil der Videosprechstunde, der häufig unterschätzt wird, ist die aktive Einbindung der Patientinnen und Patienten in den Diagnose- und Behandlungsprozess. Sowohl Ärzte als auch Psychotherapeuten sind darauf angewiesen, dass diese ihre Symptome genau schildern. Diese Eigeninitiative kann zu einer großen Bereicherung werden: Gerade bei unkomplizierten Erkrankungen wie Erkältungen können viele Patientinnen und Patienten durch gezielte Anweisungen sogar kleinere Selbstuntersuchungen vornehmen, etwa bestimmte Druckpunkte abtasten.
Grenzen der digitalen Medizin
Doch es gibt auch Grenzen der telemedizinischen Versorgung. So sollte Patientinnen und Patienten, die technisch weniger versiert sind oder keine Möglichkeit zur digitalen Kommunikation haben, weiterhin die Teilnahme an einer traditionellen Sprechstunde ermöglicht werden. Zudem gibt es immer noch die bestehenden Einschränkungen bei der Ausstellung von Überweisungen oder Krankenhauseinweisungen im Rahmen digitaler Sprechstunden. Diese Limitierung sollte künftig überdacht werden, um das Potenzial der Telemedizin voll auszuschöpfen. Die KBV stellt dazu klar: „Videosprechstunden können das Versorgungsangebot einer Praxis ergänzen. Aber viele Erkrankungen erfordern zwingend den persönlichen Kontakt.“
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Der Artikel erschien erstmals am 26. Juni 2025 im x.press 25.3.