Interview: „Künstliche Intelligenz ist und bleibt ein Hilfsmittel“

Mit dem EU AI Act steht das Gesundheitswesen vor einer neuen Ära der Regulierung. Was kommt auf niedergelassene Ärzte konkret zu? Prof. Dr. iur. Alexandra Jorzig, Fachanwältin für Medizinrecht, erläutert im Interview die praktischen und rechtlichen Folgen, Chancen und Risiken der KI-Nutzung in Arztpraxen.

Wie stark wird der EU AI Act das Gesundheitswesen verändern?

Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind jetzt festgelegt. Das bringt für alle Beteiligten zunächst mehr Sicherheit und Orientierung. Der EU AI Act ist weltweit die erste Regulierung für Künstliche Intelligenz, und er verfolgt einen „dritten Weg“ zwischen den USA und China. Diese Balance zwischen Regulierung und Innovationsspielraum ist spannend, aber wir stehen erst am Anfang der praktischen Umsetzung. Ab August 2026 wird sich zeigen, wie das Gesundheitswesen und vor allem der Markt auf diese neuen Bedingungen reagieren.

Wird der Alltag in Praxen dadurch komplizierter? Haben niedergelassene Ärzte überhaupt eine Chance, diese Regulierungen zu bewältigen?

Es bleibt ein enormer bürokratischer Aufwand, gerade für Einzelpraxen. Die neuen Pflichten – von menschlicher Aufsicht bis zum Risikomanagement – sind aufwendig und teuer. Viele Praxen können das kaum allein stemmen. Vermutlich wird es künftig mehr Zusammenschlüsse und zentrale Systeme geben, die diese regulatorischen Anforderungen gebündelt lösen. Ein Ausweichen vor KI wird auf Dauer aber kaum möglich sein.

Viele Ärzte haben Sorge vor persönlicher Haftung bei Fehlern oder unerwarteten Ergebnissen von KI-Tools. Bleibt die Verantwortung wirklich bei ihnen?

Die ärztliche Haftung bleibt erhalten, weil eine KI selbst nicht haftbar gemacht werden kann. Wer medizinische KI einsetzt, bleibt juristisch der letzte Verantwortliche. Die Frage, was die KI tatsächlich macht und wie sie funktioniert, verunsichert viele Ärzte. Dieses „Blackbox“-Gefühl ist berechtigt. Verantwortungsbewusst mit KI umzugehen und die eigene Kontrollfunktion zu behalten, darf nie aus dem Blick geraten.

Was raten Sie Ärzten: Soll man KI komplett meiden, bis alles geklärt ist?

Das wäre die falsche Strategie. Sich verweigern führt nicht weiter, denn KI-Systeme werden sich in der Medizin schneller durchsetzen, als viele erwarten. Der bürokratische Aufwand zu Beginn ist groß, aber wie bei der Datenschutz-Grundverordnung werden sich nach einer Phase der Anpassung Routinen entwickeln. Es muss klar geregelt sein, wer in der Praxis für das Thema KI zuständig ist, und alle Beteiligten müssen sich fortlaufend informieren und weiterbilden. Wer den Kopf in den Sand steckt, verpasst den Anschluss.

Wie dynamisch wird sich das Recht rund um KI weiterentwickeln? Können Ärzte auf regelmäßige Anpassungen hoffen?

Gesetze sind kein starres Instrument, das Recht ist mehr als ein atmendes Wesen. Die Rechtsprechung folgt immer der gesellschaftlichen und technischen Entwicklung. Schon beim AI Act musste kurzfristig nachgebessert werden, als zum Beispiel ChatGPT populär wurde. Die Ausgestaltung erfolgt laufend durch Rechtsprechung und Anpassungen. Ärzte sollten deshalb den Rechtsrahmen nicht als festen Käfig sehen, sondern als etwas Wandelbares.
 

„Es muss klar geregelt sein, wer in der Praxis für das Thema KI zuständig ist.“

Lässt sich überhaupt durch Gesetze alles rechtlich absichern, was KI in der Medizin betrifft?

Die Illusion, durch Gesetze alle Risiken abzusichern, ist nicht erfüllbar. KI ist und bleibt ein Hilfsmittel. Medizinische Entscheidungen müssen weiterhin durch eigene Plausibilitätsprüfungen, Fachwissen und Erfahrung ergänzt werden. Bei Unsicherheit empfiehlt es sich, klassisch nachzuforschen, nachzulesen und abzuklären – die Verantwortung bleibt beim einzelnen Arzt.

Welche Herausforderung bringt die Entwicklung für die neue Generation von Medizinern?

Jüngere und künftige Ärzte wachsen ganz selbstverständlich mit KI-Anwendungen im Alltag auf. Das verändert auch das Denken und die Entscheidungswege. Wenn Wissen nur noch KI-basiert generiert wird, droht ein Verlust klassischer Kompetenzen. Deshalb ist es wichtig, Bewusstsein zu schaffen und regelmäßig das eigene Vorgehen zu hinterfragen. Eigenverantwortung und kritisches Denken bleiben essenziell, um nicht technikgläubig zu werden.

Gibt es ethische Grenzen für die KI-Nutzung im medizinischen Kontext? Wer muss diese setzen?

Die Ethik muss den Einsatz von KI von Anfang an begleiten. Gesetzgeber und Entwickler stehen in der Pflicht, ethische Leitlinien als Grundwert einzubinden. Letztlich ist das eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ein Zuviel an legaler Vorgabe macht die Menschen träge; ethische Diskussionen und eigenverantwortliches Handeln müssen weiterhin gefördert werden. Gerade im Arztberuf, der traditionell durch Ethik geprägt ist, ist eine bewusste Haltung und Mitwirkung unerlässlich.

Was würden Sie Ärzten für den Umgang mit KI raten?

Sich aus der KI-Debatte herauszuhalten, ist keine Option. Die Ärzteschaft muss aktiv mitgestalten, Rechtsprechung mit Praxiserfahrung und ethischen Impulsen bereichern und sich nicht nur als Adressat von Vorgaben begreifen. So können Ärzte nicht nur rechtssicher, sondern auch verantwortungsvoll und zukunftsorientiert mit KI im Gesundheitswesen arbeiten.